Geschichte
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann die mexikanische Regierung damit, den Texcoco See trockenzulegen, um die spätere Hauptstadt des Landes, Mexiko Stadt, vor Überschwemmungen zu schützen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der See in 5 Einzelbecken geteilt. Die so entstandene Fläche wurde vom Bundesland beansprucht und sollte als Siedlungsfläche entwickelt werden. Nach mehrfachen Verkäufen und Deklarationen der Regierung kamen ab 1940 die ersten Siedler*innen und errichteten weitestgehend informell ihre Häuser.1 Ab 1949 begann der erste Versuch der formellen Entwicklung und Besiedlung des Gebiets. Hierzu wurden einzelne Projektentwickler*innen autorisiert, die im staatlichen Auftrag Grundstücke verkaufen und Infrastrukturen herstellen sollten. Unter die legalen Projektentwickler*innen mischten sich allerdings auch illegale, die Grundstücke teilweise ohne Verträge verkauften. 1954 hatte die Siedlung bereits geschätzte 40.000 Einwohner*innen. Viele Siedler*innen nutzen die unklare Eigentumssituation aus und besetzen vorwiegend staatliche Grundstücke. Die Wohnsituation war ohne die entsprechende Bereitstellung von Infrastrukturen allerdings schlecht.2
Entwicklung
Im Jahr 1958 begann sich die teils prekäre Lage in Nezahualcóyotl, kurz Neza, langsam zu verbessern: Auf Druck verschiedener Gruppierungen erließ die Regierung einen ersten Bebauungsplan für das Gebiet. Das etwa 4000 ha große Gebiet wurde dazu in 27 „Megablöcke“ geteilt, welche weitestgehend auf eine frühere Gliederung der sogenannten „Colonias“ zurückgriff. Zudem wurde festgesetzt, dass mindestens 10 % des Gebiets für öffentliche Einrichtungen und Plätze freigehalten werden sollten.2 Ein weiterer wichtiger Schritt bei der Formalisierung der Siedlung war die Gründung der selbstständigen Gemeinde Nezahualcóyotl im Jahr 1963. Dies führte auch dazu, dass im Jahr 1970 der erste Zensus etwa 580.000 Einwohner*innen in Neza zählte.2 Im Jahr 1975 führte wiederum der Druck einzelner Organisationen dazu, dass eine staatlich geführte Treuhandgesellschaft gegründet wurde. Diese hatte das Ziel, die Eigentumsverhältnisse zu klären und zu legalisieren. Zudem sollten Verkaufserlöse für den Ausbau der Infrastruktur genutzt werden. Bis 1981 wurden weitestgehend alle Grundstücke formal vergeben und verkauft. Die Treuhandgesellschaft wurde anschließend zwar aufgelöst, aber eine Nachfolgegesellschaft gegründet, um die verbliebenen Grundstücke formell zu vergeben. Diese positiven Entwicklungen führen auch dazu, dass im Jahr 1990 bereits etwa 1,2 Millionen Menschen in Neza lebten.2
Strukturelle Merkmale
Der Bebauungsplan von 1958 sah für Nezahualcóyotl eine klare Struktur vor. Das insgesamt etwa 4000 ha große Gebiet wurde in 27 sogenannte „Megablöcke“ unterteilt. Ein Megablock misst durchschnittlich 1 × 1 km, wobei speziell die Megablöcke am östlichen Siedlungsrand Ausnahmen bilden. Jeder dieser 27 Megablöcke wurde wiederum in ca. 90 kleinere Blöcken aufgeteilt. Ein solcher kleinerer Block besteht aus 50 einzelnen Parzellen mit einer durchschnittlichen Größe von 9 × 15 m, was die kleinste strukturelle Einheit darstellt.2 Innerhalb dieser Struktur sollten 10 % der Gesamtfläche für öffentliche Nutzungen vorbehalten werden. Die konkrete Verortung dieser Flächen wurde allerdings nicht festgelegt. Heute sind die öffentlichen Institutionen zumeist zentral in den Megablöcken zusammengefasst, in manchen Megablöcken allerdings auch unregelmäßig verteilt.2
Verkehr und Infrastruktur
Die Straßenstruktur leitet sich in Nezahualcóyotl hauptsächlich aus dem Bebauungsplan ab. Dieser sah für die Stadt lediglich drei Straßentypen vor: Die sogenannten „Primary Avenues“ bilden die Hauptverkehrswege in Neza und verlaufen vor allem in Ost-West-Richtung. Sie sind vierspurig ausgebaut und haben mittig eine großzügige Freifläche. Die Straßenbreite dieses Typs beträgt etwa 40 m. Zwischen, sowie teilweise auch innerhalb der einzelnen Megablöcke, befinden sich „Secondary Avenues“ als Sammelstraßen. Diese haben eine Breite von etwa 20 m. Sie bilden den zweiten Straßentyp in Neza. Der dritte und kleinste Straßentyp sind die „Local Streets“. Sie sind etwa 10 m breit und dienen als Anliegerstraßen der Erschließung der einzelnen Häuser. Entsprechend den Straßen verlaufen auch die technischen Infrastrukturanlagen der Stadt. Diese wurden größtenteils erst in den 1970er-Jahren fertiggestellt, was zur Folge hatte, dass die Straßen erst in den 1980er-Jahren befestigt und asphaltiert wurden.2 1991 wurde die Stadt an das Metronetz von Mexico City angeschlossen. Die Metrolinie A verläuft allerdings nur am südlichen Stadtrand von Neza auf dem Stadtgebiet von Mexico City.2
Öffentlicher Raum
Im Bebauungsplan von 1958 wurde neben der Blockeinteilung und einer Straßenhierarchisierung auch festgelegt, dass 10 % der Gesamtfläche für öffentliche Institutionen und öffentliche Räume freigehalten werden sollten. Die Bebauung dieser Grundstücke wurde von staatlicher Seite allerdings nicht priorisiert, sodass sich die Bewohnenden von Neza bis in 1980er-Jahre mit provisorischen Schulen und Einrichtungen abfinden mussten. Ebenso wurde in den letzten Jahrzehnten deutlich, dass die Festlegung von 10 % zu gering war, da dieser Platz auch für gewerbliche Zwecke wie Supermärkte sowie für öffentliche Institutionen ohne großen Publikumsverkehr (eine Polizeischule, ein Gefängnis etc.) besetzt wurde. Eine größere öffentliche Freifläche findet sich in Neza heute nur im Bereich des Rathauses. Angesichts dessen eignen sich die Bewohnenden teilweise die Freiflächen der Primary Avenues an - sie werden als Sport-Sport- und Erholungsflächen genutzt.2
Programm/Nutzung
Aufgrund des zu gering geplanten Anteils öffentlicher Freiflächen haben sich viele Nutzungen informell entwickelt. So finden auf einigen Straßen der Stadt mehrmals pro Woche informelle Märkte statt, die hauptsächlich der Versorgung mit Lebensmitteln dienen. Aber es gibt auch spezielle Märkte, wie beispielsweise einen Automarkt. Für die Bewohnenden von Neza bietet diese Form der Versorgung vor allem finanzielle Vorteile gegenüber dem Einkauf bei formellen Händlern. Für die Regierung sind die Märkte allerdings schwer kontrollierbar und es werden dort auch illegale Waren angeboten. Zudem führt die Sperrung der Straßen in den Marktzeiten zu Verkehrstaus.23
Gebäudetypologie
Die Bebauung von Nezahualcóyotl besteht heute weitestgehend aus ein- bis dreigeschossigen Wohnhäusern. Sie füllen die relativ kleinen Parzellen von etwa 150 m² nahezu vollumfänglich aus und bilden zu den Straßen hin geschlossene Fassaden. In der frühen Entwicklungszeit wurden die Grundstücke meistens nur durch provisorische Hütten besetzt. Je nach finanziellen Möglichkeiten und familiären Situationen, entstanden mit der Zeit dauerhafte Gebäude, die wiederum schrittweise weiter ausgebaut werden. Wenn ein Haus als „fertig“ betrachtet wird, werden dessen Fassaden größtenteils verputzt und farbenfroh angestrichen.2 Im Falle, dass Flächen nicht mehr benötigt werden, beispielsweise aufgrund des Auszugs der Kinder, werden Teile des Hauses vermietet. Auf einer Parzelle leben zwischen sieben und neun Personen.2 Seit etwa 1990 werden Häuser teilweise auch von Beginn an „fertig“ hergestellt.2 Häuser oder Gebäudeteile, die heute noch mit einfachen Materialien wie Holz oder Wellblech konstruiert sind, können durch staatliche Hilfen saniert werden.4
Auch interessant
Autor*innen
Quellen
- Villar, Manuel Alejandro Rivero: The role of social capital in the resilience of self-help settlements, 98, 112, London 2018
- Castillo, Milton Montejano: Process of Consolidation and Differentiation of informal Settlements, S. 54ff, 56ff, 66ff, 90, 56, 58, 80, 125, 138, 227, 150-191, 88, 216, 232, 108, Stuttgart 2008
- Heathcott, Joseph: The Guardian. Mexico City's multicoloured markets from above – in pictures. https://www.theguardian.com/cities/gallery/2018/oct/12/mexico-citys-multicoloured-markets-from-above-in-pictures, 12.10.2018
- Place. Slumscapes. http://www.thisisplace.org/shorthand/slumscapes/, 08.04.2020
- Ribbeck, Eckhart: Die informelle Moderne - spontanes Bauen in Mexiko-Stadt., Stuttgart 2002