Das gesellschaftspolitische Kunstprojekt Park Fiction entstand ab Mitte der 1990er Jahre vor dem Hintergrund zunehmender Gentrifizierung und kaum vorhandener Freiflächen im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Widerstand der Anwohnenden und ein partizipatorischer künstlerischer Planungsprozess konnten die Bebauung des letzten freien Grundstücks am Hafenrand verhindern. Als Intervention im öffentlichen Raum ist Park Fiction modellhaft für die Praxis selbstbestimmter Mitgestaltung von Stadt und Vorbild aktueller urbaner Entwicklungsverfahren.

Einleitung

Park Fiction, offiziell auch Antonipark genannt, ist ein kleiner öffentlicher Park im Hamburger Stadtteil St. Pauli, nahe der Reeperbahn und den Landungsbrücken. Mitten durch den Park verläuft die Grenze der Verwaltungsbezirke Hamburg-Altona und Hamburg-Mitte. Die Parkanlage direkt am Elbhochufer erstreckt sich über eine Fläche von etwa 3500 Quadratmeter. Eine große Fläche des Parks nutzt das Dach einer Turnhalle daneben führt eine Treppe hinunter zum international bekannten Golden Pudel Club, dessen Begründer*innen mit den Park-Fiction-Initiator*innen vernetzt sind. Eine Brücke verläuft hinüber zum Fischmarkt.

Ab 1994 entstand Park Fiction als direkte Reaktion auf den Widerstand der Anwohner*innen des Hamburger Stadtteils St. Pauli gegen eine neu beschlossene Bebauung am Hafenrand in der Straße

Pinnasberg. Anstelle dieser Baupläne forderten sie die Schaffung eines öffentlichen Parks. Konzipiert wurde die Entwicklung des Parks 1995 als Beitrag der im Viertel ansässigen Künstler*innen Christoph Schäfer und Cathy Skene zur städtischen Ausschreibung für Kunst im öffentlichen Raum: „weitergehen“. Die Hamburger Kulturbehörde hatte sie als Teilnehmer*innen dazu eingeladen. In ihrer partizipativen Planungsmethode, die sie als kollektive Wunschproduktion bezeichneten, bezogen sie Künstler*innen, Aktivist*innen, Anwohner*innen und Fachleute aus verschiedenen Disziplinen mit ein. Ihr Ziel war es, die Bedürfnisse und Wünsche der Anwohner*innen in den Fokus zu rücken und eine demokratische Mitbestimmung bei der Gestaltung des öffentlichen Raums zu ermöglichen. Dieser Ansatz unterscheidet sich bewusst von der herkömmlichen top-down Stadtplanung, die oft die Interessen der Stadtgesellschaft außer Acht lässt. Die Teilhabe eines heterogenen Personenkreises an der Entstehung des Parks spiegelt diesen Ansatz wider.

Trotz zahlreicher bauplanungsrechtlicher und technischer Herausforderungen wurde der Park nach einer zehnjährigen Entwicklungsphase im Jahr 2005 eröffnet. Seitdem steht Park Fiction symbolisch für ein innovatives Planungsmodell, das bürgerschaftliches Engagement und künstlerische Interventionen im städtischen Raum vereint. Dieses Modell ermöglicht eine partizipative und nachhaltige Stadtgestaltung in Verbindung mit kreativer Freiflächennutzung. Das Projekt verdeutlicht, wie engagierte Bürger*innen sich trotz Widerstände gegen die Bebauungspläne privater Investor*innen durchzusetzen vermochten und es schafften, das letzte verbleibende freie Grundstück am Hafenrand für eine gemeinschaftliche Nutzung zu erhalten.1

Übersichtskarte Hamburg
Infrastrukturkarte
Höhendiagramm

Geschichte von St. Pauli

Park Fiction entstand aus einer sozial-politischen Perspektive heraus, die eng mit der Geschichte des Hamburger Stadtteils St. Pauli verbunden ist. Hinter St. Pauli verbirgt sich mehr als das weltbekannte Rotlicht- und Vergnügungsviertel rund um die Reeperbahn mit seinen Kneipen, Clubs, Konzertbühnen, Sexshops, Spielhallen und anderen Vergnügungsangeboten.1 Im 17. Jahrhundert trug St. Pauli noch den Namen Hamburger Berg und lag außerhalb der Hamburger Stadtmauern. Hier siedelten sich Menschen an, die sich das Leben in der Stadt nicht leisten konnten oder dort nicht willkommen waren. Dazu gehörten verschiedene Berufsgruppen wie Sexarbeiter*innen, Handwerker*innen, einfache Arbeiter*innen, Schausteller*innen, Reepschläger*innen und Seilemacher*innen.2 Durch die Nähe zum Hafen kam es später zu einem starken Zulauf von Seeleuten und Hafenarbeiter*innen, wodurch sich vermehrt Kneipen und andere Vergnügungsangebote etablierten.3 Dieses Publikum amüsierte sich nach langen Reisen und anstrengender Arbeit gerne, und der Hamburger Berg wurde für viele Hamburger*innen ein beliebtes Ausflugsziel. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich dort ein populäres Vergnügungs- und Rotlichtviertel.2

Der Stadtteil St. Pauli zeichnet sich bis heute durch seine Heterogenität und soziokulturelle Vielfalt aus. Hier leben viele diverse Bevölkerungsgruppen mit sehr unterschiedlichem Einkommen und verschiedenen Staatsbürgerschaften sowie Arbeitslose und Berufstätige. Viele Bewohner*innen von St. Pauli leben unter beengten Wohnverhältnissen, was auf die stark verdichtete Bebauung zurückzuführen ist. Diese enge Bebauung hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert, als aufgrund des starken Bevölkerungswachstums eine hohe Nachfrage nach Wohnraum bestand.2

Der Kiez von Hamburg hat sich im Laufe der Jahrhunderte von einem Elends- zu einem Szeneviertel entwickelt.4 Noch bis in die 1990er Jahre hinein zählte St. Pauli zu den ärmsten Stadtteilen in Europa.2 Und auch heute noch sind viele St. Paulianer*innen von ökonomischer Armut betroffen.5 Seit Mitte der 1980er Jahre zeichnete sich allerdings ein Strukturwandel auf St. Pauli ab, der durch Gentrifizierungsprozesse ausgelöst wurde. Die Mieten stiegen, die Zusammensetzung der Bevölkerung veränderte sich. Und all jene, die den Kiez einst prägten, wurden zunehmend verdrängt.3

Trotz der Widrigkeiten ihrer Lebensumstände entwickelten die St. Paulianer*innen eine Kultur der Kritik.1 Der aufständische Ruf und die oppositionelle Mentalität der St. Paulianer*innen zieht sich durch die Geschichte von St. Pauli hindurch und hält sich bis heute. Er manifestiert sich in zahlreichen Protesten und Solidaritätsbewegungen auf St. Pauli wie auch im Rahmen von Park Fiction.5

Ausgangslage

Der berühmte Häuserkampf in der Hafenstraße auf St. Pauli in den 1980er Jahren ist ein Beispiel für die gelebte Protestkultur der St. Paulianer*innen gegen staatliche oder ökonomisch geleitete Machtstrukturen.1 Vorangegangen war diesem die beginnende Immobilienspekulation Ende der 1970er Jahre auf St. Pauli, die sich auch anderswo in Hamburg und in anderen Städten auswirkte. Es entstanden große Wohnungsleerstände, auch in der vom Pinnasberg abgehenden Hafenstraße.6 Die Häuser in der Hafenstraße sollten Neubauten weichen.7 Im Jahr 1981 besetzten Studierende und Autonome einen Teil der dort vom Abriss bedrohten Häuser, um ein Zeichen gegen den zunehmenden Abriss von Altbauten sowie die damit einhergehende Gentrifizierung und Privatisierung des Viertels zu setzen. Daraus entwickelte sich ein jahrelanger militanter Häuserkampf, der von einer Vielzahl von Polizeieinsätzen, Straßenschlachten und Demonstrationen geprägt war.8

Das Tauziehen zwischen polizeilicher Räumung, erneuter Besetzung und dem Versuch der Legalisierung versetzte die ganze Stadt in Aufruhr. Es entwickelte sich eine Solidaritätsbewegung mit den Besetzer*innen der Hafenstraße über Hamburg hinaus.1 Ein Unterstützer*innen-Netzwerk für den Erhalt der Hafenstraße bildete sich und trug dazu bei, dass es 1995 endlich zum Frieden kam. Die Häuser wurden an die zu ihrem Erhalt gegründete Genossenschaft „Alternativen am Elbufer" verkauft.18 Anfang der 1990er Jahre entstand daraus die Nachbarschaftsinitiative „Hafenrandverein für ein selbstbestimmtes Leben auf St. Pauli e. V.“. Teil davon waren u.a. das Netzwerk Selbsthilfe, Kirche St. Pauli, Gemeinwesenarbeit St. Pauli Süd, Mieter helfen Mietern. Als die Hamburger Bürgerschaft 1994 beschloss, das wertvolle Grundstück des heutigen Park Fiction mit freiem Blick auf die Elbe und den Hafen zu verkaufen und mit mehrgeschossigen Wohn- und Bürogebäuden bebauen zu lassen, protestierten Anwohnende und der Hafenrandverein.18 Dieser Protest wurde von der Energie des Hafenstraßenkonflikts getragen und drückte den Wunsch nach mehr urbanen Freiräumen und demokratischer Stadtplanung aus. Zu dieser Zeit stellten sich die Protestierenden und Mitglieder des Hafenrandvereins außerdem die Fragen: „Wie weiten wir dieses Feld: Wem gehört die Stadt?“ und „Wie könnte man eine Bebauung da verhindern und diesen offenen Blick erhalten?“. Christoph Schäfer und Cathy Skene organisierten gemeinsam mit dem Hafenrandverein einen „parallelen Planungsprozess“ als taktisches politisches Instrument für die Realisierung eines öffentlichen Parks anstelle der geplanten Bebauung.9

Entwicklung

Die Forderung nach einem selbst gestalteten öffentlichen Park anstelle der Bebauung stand am Anfang des künstlerischen Konzepts und Planungsprozesses für Park Fiction. Bevor im Jahr 1995 die Kulturbehörde die Künstler*innen Christoph Schäfer und Cathy Skene einlud, ein Projekt für das Hamburger Programm für Kunst im öffentlichen Raumzu entwickeln und damit Park Fiction ins Leben gerufen wurde, hatten bereits Aktionen stattgefunden, die den gewünschten Park vorwegnahmen. So wurden Grill-Partys zwischen geparkten Autos, Straßen-Raves oder Salatbars, die wie Parklandschaften angerichtet waren, veranstaltet. Die Künstler*innen schlossen sich mit der Initiative des Hafenvereins zusammen, um eine Realisierung des Parks voranzutreiben.Hieraus gründete sich 1997 das Planungsbüro als Kooperation zwischen den Künstler*innen und dem Nachbarschaftsnetzwerk (Hafenstrasse, St. Pauli Schule, Goldener Pudel Club, GWA St. Pauli).10     
Die Filmemacherin Margit Czenki ist seit 1997 ebenfalls Teil der Park-Fiktion-Gruppe.1 Die „kollektive Wunschproduktion“ konnte starten. Diese sollte die Hegemonie der gängigen Stadtplanungsinstanzen und deren verwendete rudimentär-demokratischen Zugangsmöglichkeiten in Frage stellen und durch eine Aneignung der Stadt durch ihre Bewohner*innen erweitern. Es war der Versuch, einen kulturellen Freiraum zur Mitgestaltung aller Beteiligten zu schaffen und somit einen Rollenwechsel von „Stadtkonsument*in“ zu „Stadtproduzent*in“ in Gang zu setzen. Die von dem Park-Fiction-Team gewählte Art der künstlerischen Auseinandersetzung entspricht der „New Genre Public Art“: Der Entwicklung eines partizipatorischen Ansatzes, der versucht der Community einen größtmöglichen Handlungsspielraum bei der Parkgestaltung einzuräumen. Laut Christoph Schäfer, bestand die Aufgabe der Park-Fiction-Gruppe in der Motivierung der kreativen Potenziale der Anwohner*innen zugunsten der Überwindung der herrschenden, ökonomisch-motivierten und technokratischen Stadtplanung.1o

Die Künstler*innen und der Hafenrandverein
Motivation von Christoph Schäfer

Besonderheiten

Die Besonderheit von Park Fiction besteht vor allem in der künstlerisch-aktivistischen Initiierung einer alternativen und narrativen Stadtplanung im Rahmen eines erweiterten Planungsprozesses, die sich nach den Wünschen und Anforderungen der Anwohner*innen richtet. Dieser Prozess war inspiriert durch die Vorstellungen der Situationist*innen hinsichtlich eines unitären Urbanismus.10 Die Situationistische Internationale war eine 1957 gegründete, linke Gruppe europäischer Künstler*innen und Intellektueller, die vor allem in den 1960er Jahren aktiv waren. Sie operierten an der Schnittstelle von Kunst und Politik, Architektur und Wirklichkeit, und setzten sich für die Realisierung der Versprechungen der Kunst im Alltagsleben ein. Nach den Situationist*innen sind Situationen „ästhetisch", in denen sich Menschen unmittelbar frei und gleichberechtigt begegnen und austauschen, kreativ sind und keinen Zwängen unterliegen. Das Ziel war die Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben sowie eine grundlegende Umgestaltung der Stadtstrukturen und gesellschaftlichen Normen. Park Fiction ist ein einzigartig-experimenteller, öffentlicher Planungsprozess zwischen Künstler*innen, Anwohner*innen, Hausbesetzer*innen, Sozialarbeiter*innen, der evangelischen Kirche, Musiker*innen des lokalen Pudel Clubs und den staatlichen Behörden, die sich sukzessive für das Projekt gewinnen ließen.6

Für die von den Künstler*innen konzipierte „Wunschproduktion“ wurden unterschiedliche Planungsinstrumentein einem „Spielplan“ festgehalten, der den Teilnehmer*innen Zugangsmöglichkeiten zum Planungsprozess und zu einer kollektiven Parkgestaltung bieten sollte. Unter anderem wurde vor Ort ein öffentliches Planungsbüro in einem Container installiert, das unter anderem ein Knetbüro, die Gartenbibliothek, das Wunscharchiv, sowie Info-, Bastel-, Mal-und Zeichenutensilien beinhaltete.11 Eine Telefonhotline für Menschen zeichnete verbal eingebrachte Ideen akustisch auf. Zusätzlich besuchten Park-Fiction-Aktivist*innen mit einem Alukoffer bzw. dem sogenannten „Action Kit“ die Anwohnenden in ihren Wohnungen und Gruppen in der Nachbarschaft. Das Action Kit beinhaltete Pläne zum Ausfüllen, ein Diktaphon zum Aufzeichnen mündlich formulierter Wünsche, Knetmasse, ein ausklappbares Hafenpanorama mit Maßstabsfiguren, sowie eine Polaroid-Kamera zum Fotografieren der Arbeiten. Durch die Recherche-Aktionen wurden unter anderem Orte mit hoher Lebensqualität ermittelt und eine Konkretisierung privater Wünsche, gestalterischer und architektonischer Visionen mit Hilfe der Befragungsinstrumente niedrigschwellig ermöglicht. Damit wurden den herrschenden ökonomischen Interessen das kulturell-symbolische Kapital der Anliegen der kapitalschwachen Anwohner*innen entgegengehalten und deren Anliegen Bedeutung und Nachdruck verliehen.1110

Spielplan
Tools der Wunschproduktion

Planung und Umsetzung

Der Planungsprozess wurde durch Vorträge, Diskussionen, Workshops und Ausstellungen für Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu einer Plattform des Austausches. Es wurden „Park Fiction Infotainment-Veranstaltungen“ zu Gärten in aller Welt, Plätzen der permanenten Neugestaltung sowie Verkehr und Stadtplanung organisiert. Durch Veranstaltungen wie Straßenfeste, Partys und Ausstellungen wurden unterschiedliche Benutzer*innengruppen zur Bildung einer oppositionellen Gegenöffentlichkeit, die sich den ökonomisch-motivierten Stadtentwicklungsprozessen entgegenstellt, zusammengebracht.10 Auch die Generierung der Medienpräsenz erweiterte die Aufmerksamkeit auf das Projekt. Zentral war „die Veränderung der Sichtweise auf den Elbhang, so dass der vorhandene Platz nicht länger unter dem Tauschwert orientierten Blickwinkel als Baulücke, sondern entsprechend den Forderungen der Anwohner und unter dem Aspekt des Gebrauchswerts als wirklicher Freiraum genutzt und gestaltet wird.“6

Park Fiction startete von Anfang an als künstlerisches Projekt im öffentlichen Raum und wurde durch seinen Einfluss auf die Stadtgestaltung zu einem urbanen Projekt. Heute werden immer häufiger Fachleute, Künstler*innen, Urban Designer*innen und Anwohner*innen von vornherein in offizielle, urbane Stadtplanungen mit einbezogen. Aus der Initiative, die von den Künstler*innen im Rahmen des Hamburger Programms für Kunst im öffentlichen Raum entstand, gingen weitere Kunstprojekte wie „Die Füße in die Elbe strecken“ (2020) oder die Ausstellung „Gefährliche Nachbarschaft“ (2022) hervor, die sich mit Gegenentwürfen zur Gentrifizierung im Stadtteil beschäftigen.6

Ab Mai 2003 wurde schließlich das in der kollektiven Wunschproduktion erarbeitete Modell von Park Fiction sukzessive realisiert, nachdem es unter anderem 2002 auf der Documenta11 in Kassel als partizipatorisches Kunstprojekt vorgestellt worden war. Die Konzeptions- und Umsetzungsphase dauerte aufgrund diverser technischer und behördlicher Verzögerungen insgesamt fast ein Jahrzehnt. An der Verwirklichung waren neben den Park-Fiction-Aktivist*innen auch viele Ämter und Fachleute beteiligt. Im Jahr 2005 eröffnete der Park mit seinen benutzer*innendefinierten Inseln. Neben der Palmeninsel, dem Aushängeschild von Park Fiction, wurden das Open-Air-Solarium, der Hundegarten mit Pudeltoren, der fliegende Teppich sowie die Mieter*innen-Kräuterbeete und Blumengärten auf dem Grundstück der benachbarten kooperierenden Kirche realisiert. Die funktional unterschiedlichen Inseln des Parkentwurfs spiegeln einen veränderten Öffentlichkeitsbegriff wider, in dem alle die gleichen, normierten, statistisch errechneten Bedürfnisse haben. Am 16. Juni 2013 wurde der Park durch Nachbar*innen in Gezi Park Fiction St. Pauli umbenannt. Das Park Fiction Archiv für unabhängigen Urbanismus wird heute im Café des Pudelsalons beherbergt.11

Palmeninsel

Programm und Nutzungen

Der Park wird als „funktionaler Ausstellungsraum zur Repräsentation und Produktion eines sozialen Raums genutzt, der seiner eigentlichen Nutzung als relativ autonomer Ort der Hochkultur entgegenläuft und stattdessen eine spezifische Teilöffentlichkeit in einen Diskurs über soziale Probleme unterprivilegierter Gruppen mit einbezieht“ (Lewitzky, 2005: 115).  Das symbolische, kulturelle Kapital von Park Fiction erhöht sich durch den Bezug auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu und die Ausstellungsteilnahme an der Documenta11. Auch entspricht der Parkals Ergebnis einer kreativen, kollektiven Wunschproduktion und politischen Arbeit der Bürger*inneninitiative, dem von Henri Lefebvre entwickelten Begriff des „angeeigneten differentiellen Raums“ als Ort der Interaktion zwischen den heterogenen ortsansässigen Bevölkerungsgruppen, um einer zunehmenden Homogenisierung und Fragmentarisierung von städtischem Raum entgegenzuwirken.10

 „Obwohl der partizipative Ansatz von Park Fiction nicht zu einer Produktion symbolischer Schwellen führt, funktioniert das Projekt im Kontext der Neuen Urbanität möglicherweise nicht nur als Erholungsraum für die jetzige Bevölkerung, sondern auch als Imagefaktor und kulturalisiertem Ereignisraum für anvisierte Zielgruppen.“ (Lewitzsky, 2005: 113)

Der Park, der heute ein breites Publikum aller Altersklassen und Interessensgebiete anzieht und sich auch als beliebtes touristisches Ziel von auswärtigen Hamburg-Besucher*innen durchgesetzt hat, wird immer wieder als politische Plattform und für informelle Interventionen und Protestaktionen genutzt. Unerwünscht sind Parteiauftritte, kommerzielle Events, Rassismus und alles aus dem rechten Spektrum. Stattdessen werden im Sommer Open-Air-Kino-Veranstaltungen oder Pflanzaktionen organisiert und weiterhin mit kreativen Mitteln gegen Gentrifizierungsprozesse auf St. Pauli vorgegangen. Für interessierte Parkbesucher*innen gibt es die Möglichkeit, an Führungen durch Park Fiction und das Wunsch-Archiv teilzunehmen.610

Ausblick: Park Fiction II

Es werden bereits Ideen für eine zweite Wunschproduktion gesammelt. Der Uferstreifen gegenüber von Park Fiction I, der Brachfläche und zeitweise Gelände des Fischmarkts ist, soll in den nächsten Jahren Gestalt annehmen. Die Frage ist, wie das Inselprinzip des Parks an das Elbufer gebracht werden kann. Mit den Prämissen, dass der Fischmarkt und der Hafengeburtstag weiterhin auf dem Gelände stattfinden sollen und jegliche künstlerische Intervention einer Überschwemmung standhalten muss, wurden im August 2022 erste Ideen der Anwohner*innen gesammelt. Im Zentrum der aktuellen Konzeptionen stehen temporäre, mobile Konstruktionen, die flexibel bespielt werden können.12

 

Biografien der erwähnten Künstler*innen

Der 1964 in Essen geboreneZeichner, Konzept-und Installationskünstler Christoph Schäferlebt in Hamburg und beschäftigt sich seit den frühen 1990er Jahren mit dem urbanen Alltag und der Produktion von Räumen für und durch kollektive Wünsche. Seit 2023 ist er Vertretungsprofessor für bildende Kunst an der HKS Ottersberg. Zu seinen wichtigsten künstlerischen Beiträgen zählen Park Fiction, Wunschproduktion und Planung (1994-2005; Documenta11 2002), die Zeichnungsserie und das Buch „The City is our Factory“ (2010) sowie die PlanBude (ab 2014, zusammen mit Co-Gründerin Margit Czenki).13

Cathy Skene wurde 1964 in Hongkong geboren. Sie studierte Malerei und arbeitete als Autorin und Fotografin und Bildhauerin in England, bevor sie 1986 zum Studium der Bildhauerei und Fotografie nach Deutschland wechselte.1994 wurde sie in Hamburg mit dem Ernst-Barlach-Preis ausgezeichnet. Mittlerweile lebt sie als freiberufliche Künstlerin in Berlin.14

Seit 1997 gehört die Hamburger Regisseurin und Installationskünstlerin Margit Czenki (Verfasserin der Filmcollage: „Park Fiction – die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen“, 1999) zur Park-Fiction-Planungsgruppe und ist bis heute maßgeblich gemeinsam mit Christoph Schäfer an weiteren Entwicklungen des Projekts beteiligt.1

 

Auch interessant

Autor*innen

  • Emma Ulrich (Leuphana Universität Lüneburg, Kulturwissenschaften, Sommersemester 2023)
  • Rebecca Gruber (Leuphana Universität Lüneburg, Kulturwissenschaften, Sommersemester 2023)

Quellen

  1. Wieczorek, Wanda: Park Fiction. Analyse eines selbstorganisierten Planungsprozesses zwischen Kunst, Gemeinwesenarbeit und Urbanismuskritik in Hamburg-St. Pauli, S. 5-9, 12-13, 17, 36, 40, 52, 102, 141, Lüneburg 2005
  2. Schafer, Sarah: Die Geschichte der Reeperbahn. Die Reepschläger und ihre Bahnen. Hamburg. https://www.hamburg.de/sehenswuerdigkeiten/4419642/hamburger-reeperbahn-historisch/, 03.08.2023
  3. Martens, René / Zint, Günther: St. Pauli. Kiez Kult Alltag, S. 14, 21, Hamburg 2000
  4. Hamburger Abendblatt. St. Pauli wie es früher war. Jeder Stadtteil hat seine eigene Geschichte. Der Historiker und Abendblatt-Redakteur Dr. Matthias Schmoock hat sich auf eine Zeitreise begeben. https://www.abendblatt.de/incoming/article123346458/St-Pauli-wie-es-frueher-war.html, 03.08.2023
  5. Wischmann, Katharina: Städtische Visualität und Materialität: Untersuchung stadtteilpolitischer Diskurse am Beispiel von Hamburg-St. Pauli, S. 27, 31-33, 37, 58, 266, Wiesbaden 2016
  6. Park Fiction. Aufruhr auf Ebene P.. https://park-fiction.net/park-fiction-aufruhr-auf-ebene-p/, 21.07.2023
  7. Aksu, Erdogan: Stadt und Hausbesetzungen. Geschichte und Entwicklungen des urbanen „Häuserkampfes“, S. 43, Düsseldorf 2021
  8. NRD. Hamburgs Hafenstraße: der Kampf um die besetzten Häuser. https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Hamburgs-Hafenstrasse-Der-Kampf-um-die-besetzten-Haeuser,hafenstrasse155.html, 05.07.2023
  9. Interview Christoph Schäfer, 11.06.2023, Hamburg 2023
  10. Lewitzsky, Uwe: Kunst im öffentlichen Raum zwischen Partizipation, Intervention und neuer Urbanität, S. 113-119, Bielefeld 2003
  11. Park Fiction. Willkommen bei Gezi Park Fiction. https://park-fiction.net/gezi-park-fiction-hamburg/, 03.08.2023
  12. Park Fiction. Das Park Fiction Komitee. https://park-fiction.net/das-park-fiction-komitee/, 04.07.2023
  13. Schäfer, Christoph: Christoph Schäfer. Stüdyo Christoph Schäfer. Christoph Schäfer CV artist works reviews. https://christophschaefer.net/cv/,, 05.09.2023
  14. Schäfer, Christoph: Cathy Skene.Vita. https://sh-kunst.de/christoph-schaefer-und-cathy-skene-park-fiction/, 05.09.2023
  • Titelbild: Rebecca Gruber, Hamburg 14.07.2023
  • Audioaufnahmen: Interview mit Christoph Schäfer, Hamburg 11.06.2023
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