Helsinki verfügt über eine der größten unterirdischen Stadtstrukturen der Welt. Die während des kalten Krieges als Schutzanlagen erbauten Räume wurden zu einem komplexen Netzwerk erweitert. Es entstand eine neue Stadt unter der Stadt. Heute befinden sich unter der Erde Infrastrukturen, Versorgungssysteme, aber auch öffentliche Einrichtungen, wie Sportanlagen, Kirchen oder Museen, die innerhalb kürzester Zeit als Schutzbunker umgenutzt werden können.
Geografische Einordnung

Geschichte 

Durch die Beitrittserklärung Finnlands zur NATO im Jahr 2023 wurde der Fokus erneut auf die geostrategische Situation des Landes gerichtet. Viele Jahre befand sich das Land unter der Herrschaft der Nachbarländer Russland und Schweden.2 Nach der Unabhängigkeit 1917 und dem Winterkrieg 1939/40 wurden modernste Sicherungs- und Schutzsysteme in das unterirdische Felsgestein der Stadt gebaut.3 In den 1980er Jahren entstand der erste städtebauliche Plan für Helsinkis Untergrundbebauungen, die sogenannte „space allocation map“.1 Die gute Beschaffenheit des Granitbodens und das Bevölkerungswachstum der Stadt führten im Laufe der Jahre zu einer großflächigen Ausweitung der Strukturen unter dem Stadtgebiet. Für die weitere Vernetzung und Koordination der unterirdischen Stadt wurde ab den 2000ern der „Underground Masterplan Helsinki“ (UMP) entwickelt. Auf dieser Grundlage entstanden bis heute 400 unterirdischen Baustrukturen mit einem Volumen von 10.000 Kubikmetern.4

Bebauungsstruktur Helsinki
Geologische Beschaffenheit Granit
Undergrounds

 

Entwicklung

Der größte Teil der unterirdischen Stadt besteht aus technischen und öffentlichen Infrastrukturen, wie etwa das Metronetz, die Warmwasserreserven und andere Versorgungseinrichtungen. Jedoch gibt es auch eine Vielzahl von unterirdischen öffentlichen Angeboten wie Teile des ​​​​Eishockeystadions​​​, Sportanlagen, eine Kirche, eine Museumserweiterung, ein Schwimmbad, ein Spielpark oder das Konzerthaus.5 Viele dieser Strukturen können binnen 72 Stunden zu Schutzräumen umfunktioniert werden und verfügen über modernste Versorgungssysteme, wie Lüftungsanlagen, sanitäre Anlagen und atomsichere Türen.6 Eine weitere Besonderheit ist das Netz von befahrbaren Tunneln. Vor allem das Stadtviertel Kamppi, unter dem ein unterirdisches Einkaufzentrum und der Busbahnhof liegen, verfügt über ein großflächiges Tunnelsystem.1 Neben den Tunneln im Stadtgebiet, verbindet ein Tunnel die Stadt mit der Festungsinsel Suomenlinna und ist lediglich für den Notfall über einen Eingang im Kaivopuisto-Park begehbar.5

 

Der Anlass, aufwendige Anlagen untertage zu errichten, geht jedoch nicht nur auf den Bedarf nach Schutzräumen zurück. Die Beschaffenheit des Granits bietet gute Bedingungen, das unterirdische System auszubauen und in dem Gestein weitere Gebäude entstehen zu lassen. Der unterirdische Bau großmaßstäblicher Anlagen  macht es möglich, die Stadt nachzuverdichten, ohne wertvolle Flächenübertrage dafür opfern zu müssen.3 Die oberirdischen Grünflächen können der Stadt zu einem besseren Raumklima verhelfen und ermöglichen einen sogenannten „Gründach-Effekt“.6 Der Stein hat die Fähigkeit, angenehme Temperaturen durch die Erdwärme im Untergrund zu halten, was für Finnlands lange, kalte Winter einen großen Gewinn darstellt.7 Die Verlagerung einiger industrieller sowie infrastruktureller Anlagen unter die Erde ermöglicht Helsinki, seine kompakte Form und gute Erreichbarkeit auch in Zukunft beibehalten zu können.

 

Der Masterplan „2050-Greater Vision“, der die Finnische Hauptstadt auf einen starken Bevölkerungszuwachs vorbereiten soll, sieht weitere Pläne für öffentliche Untergrundbebauungen vor, wie den Ausbau des Nationalmuseums oder der Underground Gardens.5 Außerdem entsteht zurzeit ein Tunnel nach Tallinn, der eine schnellere Verbindung zu dem wichtigen Wirtschaftspartner im Süden herstellt und Estland Zugang zu Finnlands Sicherheitssystem unter der Erde bieten soll.8

Heute
Masterplan 2050

Städtebauliche Merkmale

Wegen der großen Anzahl unterirdischer Anlagen und des komplexen, unterirdischen Straßen- und Wegenetzes, ist inzwischen eine Stadt unter der Stadt entstanden.3 Das Innenstadtzentrum um das Gebiet Kamppi ist größtenteils unterbaut und verfügt über mehrere Servicetunnel, über die der gesamten Lieferverkehr zu den oberirdischen Geschäften abgewickelt werden kann . Weitere aktuelle Planungen sehen vor, einen Großteil des Verkehrs mittels Autotunnel, Fahrradtunnel und den Ausbau der Metro unterirdisch zu organisieren und auf diese Weise oberirdisch mehr Sicherheit und Attraktivität für Fußgänger zu schaffen.8

Das Projekt Baana sieht vor, die Außenbereiche der Stadt für Fahrradfahrer mit der Innenstadt zu verknüpfen und nutzt dafür eine ehemalige, tief im Gestein liegende Bahntrasse.9 An mehreren Stellen gibt es schon heute Zugänge zu der unterirdischen Stadt und seinen Tunnel. Viele der Wege sind jedoch nicht öffentlich zugänglich, sondern lediglich für den Notfall vorgesehen.

Ein besonderes Beispiel ist der Katri Vala Park, der sich über vier Ebenen in die Tiefe erstreckt und als Paradebeispiel für „0-land-use“ gilt.3 Auf Bodenniveau befinden sich einige Lagergebäude und eine große öffentliche Freifläche mit Felsen, darunter eine Wärmepumpenstation, ein Servicetunnel von Kruunuhaka bis Pasila und bis zu 60 Meter in der Tiefe die Tunnel für die Wasserversorgung. Zurzeit wird weiter untersucht, ob auch in den dazwischenliegenden Räumen noch weitere Nutzungen untergebracht werden können.3

Die Stadt unter der Stadt (Kamppi)
Layering der Bebauung (Katri Vala Park)

Regelwerk

Die Regelwerke und Grundlagen der unterirdischen Bauten sind häufig nicht öffentlich einsehbar, doch in der Überlagerung des Kartenmaterials lässt sich erkennen, dass die Tunnelstrukturen recht parallel zu den oberirdischen Straßennetzen verlaufen. Die unterirdische Bebauung orientiert sich an dem Masterplan Helsinkis indem deren Zugänglichkeit in unmittelbarer Nähe zu den oberirdischen Straßenstrukturen liegt.10 Viele unterirdische Räume befinden sich unmittelbar unterhalb von großen Gebäuden, da sie bei einer Fläche von mehr als 1.200 Quadratmeter um einen Schutzbunker ergänzt werden müssen.3  Insgesamt weichen die Strukturen der unterirdischen Stadt allerdings deutlich von den orthogonalen Stadtstrukturen der oberirdischen Stadt ab. Dies liegt einerseits daran, dass die Sprengarbeiten untertage anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als der Städtebau übertage. Andererseits liegt es daran, dass die Planung unter der Erde weniger räumliche Einschränkungen hat als in der dicht bebauten Stadt. Da Helsinki zu großen Teilen auf Gesteinsschichten unterbaut wurde, bietet sich an vielen Orten eine gute Grundlage für die Untergrundbebauungen. Einige Bereiche der Stadt werden temporär für eine zukünftige Nutzung freigehalten, um den Druck auf die Bebauung des Stadtkerns zu verringern.10 Zudem gibt es die Möglichkeit (ähnlich Beispiel Katri Vala Park) in mehrere Ebenen und bis zu 60 Meter unter der Oberfläche zu bauen.

 

Öffentlicher Raum / Schnittstelle Oberfläche zu Untergrund

In Helsinkis Stadtraum sind die unterirdischen Räume häufig erst auf den zweiten Blick sichtbar. Aber einmal erkannt, wird eine spannende Beziehung zwischen oberirdischen und unterirdischen Räumen spürbar. Die meisten unterirdischen Räume befinden sich unterhalb von Gebäuden, wie zum Beispiel die Olympiahalle, die von außen als Gebäude erkennbar ist, jedoch über viele weitere Sporthallen und einen Lauftunnel verfügt.11 Diese Räume sind zwar öffentlich zugänglich, jedoch nicht von außen als solche wahrnehmbar.

 

Andere unterirdische Räume sind lediglich aufgrund ihres Eingangs erkennbar. Ein Beispiel hierfür ist die Arena Hakaniemi, die oberirdisch nur über einen Glaseingang auf einem Platz verfügt, der über eine Treppe zu einem Fitnessstudio, einem Indoor-Spielplatz und einer Sportarena führt. Ein besonderes Fallbeispiel dieser Kategorie ist das Amos Rex Museum, das sich unter einem prominenten Platz mitten in Helsinkis Stadtzentrum befindet. Die Ausstellungsräume liegen fast vollständig unter der Erde. Lediglich fünf organisch geformte Lichtpaneele aus Stahlbeton, die für die Bevölkerung begeh- und bespielbar sind, ragen in den öffentlichen Raum und weisen auf das Museum darunter hin. Die Paneele funktionieren als Stadtbaustein auf dem öffentlichen Platz und werden von den Besucher*innen als Sitzmöglichkeiten, Skateplatz und Aufenthaltsort genutzt.12 Die darunterliegenden Ausstellungsräume sind auf drei Etagen verteilt. Eine Freitreppe unter den Oberlichtern gewährt von oben einen Blick in den Untergrund.13

Museum unter der Erde
Paneele als Stadtbaustein
Drei Geschosse in die Tiefe

Eine weitere Kategorie bilden jene Räume, die direkt in den Felsen gebaut werden. Ein Beispiel hierfür ist die unterirdische ​​​​Schwimmhalle Itäkeskus​​​, die von außen nur durch einen halbrunden Glaseingang und die Parkplätze erkennbar ist. Über dem Schwimmbad ist die natürliche Form des Felsens erhalten geblieben und bietet einen Erholungsraum, inmitten einer von Zeilenbauten geprägten Umgebung. Das Gebäude kann im Notfall als Bunker für 3.800 Menschen umfunktioniert werden und wird im Alltag als zweistöckiges Schwimmbad mit mehreren Becken und einer Sauna genutzt.5 Unterirdisch ist die raue Struktur des gesprengten Gesteins überall sichtbar und weiß gestrichen, wodurch ein höhlenartiger Charakter entsteht.

Versteckt unter dem Felsen
Schwimmen unter der Erde
Unsichtbare Strukture

Dieser Charakter entsteht auch bei der Felsenkirche, die ebenfalls in das Gestein gebaut wurde, jedoch durch das herausstehende Glasdach, sowie den Eingangsbereich von außen als Gebäude erkennbar ist. Von der Straße aus ist nur die große Glastür sichtbar, durch die man einen ersten Einblick in das außergewöhnliche Kirchenbauwerk erlangen kann. Der Kirchenraum ist von rohem Granit umfasst, was den höhlenartigen Charakter unterstreicht. Auch der Altar besteht aus diesem Gestein. Durch Oberlichter fällt natürliches Licht in den Innenraum. Die Kirche ist nicht nur eines der auffälligsten, sondern auch der ältesten unterirdischen Bauwerke Helsinkis und wurde bereits 1961 erbaut.14 Der Felsen mit der darin liegenden Kirche wird von einer fünf- bis sechsstöckigen Wohnbebauungen gerahmt. Anders als bei der Schwimmhalle ist der Felsen oberhalb der Kirche gut begehbar, bietet einen öffentlichen Platz um die Kirche herum und ermöglicht Einblicke in das Innere. Es entsteht ein spannendes Spiel zwischen oberirdischem und unterirdischem Räumen.

Zwischen Felsen und Stadtraum
Wechselwirkungen
Kirche als Treffpunk

Zusammenfassung

Städte wie Paris oder Odessa sind bereits viele Jahrhunderte für ihre unterirdischen Tunnel und Katakomben bekannt. Auch viele andere Großstädte verfügen heutzutage über U-Bahnschächte, Tiefgaragen und andere unterirdische Anlagen. Die Besonderheit von Helsinkis unterirdischer Stadt ist die große Vielfalt teils öffentlicher Gebäude und Infrastrukturen. Auch andere Städte entwickeln bereits Konzepte für öffentliche Analgen unter der Erde, wie der Underground Path in Toronto oder die Erweiterungen von Tokios U-Bahnnetz.1 Auch für die Verlagerung großflächiger, technischer Anlagen, beispielsweise für eine nachhaltigere Unterbringung von Serverfarmen, wird das Erdreich in Zukunft immer attraktiver.

 

Schon heute dient Helsinki als Modell für andere „Unterground Cities“, da hier bereits viele Erfahrungen in Bezug auf Planung, Bau und Nutzung gesammelt werden konnten. Es stellt sich aber die Frage, in welchem Verhältnis der Aufwand zu seinem Nutzen steht. Lassen sich die Kosten dadurch rechtfertigen, dass die unterirdischen Anlagen im Kriegsfall vielen tausend Menschen Schutz bieten? Können Mensch und Natur tatsächlich davon profitieren, wenn die Nutzung des Untergrundes dazu beiträgt, dass oberirdische Flächen für öffentliche Räume und Grünanlagen freigehalten werden? Und wie hoch sind – neben den wirtschaftlichen Kosten - die ökologischen Kosten, die durch den Bau von unterirdischen Anlagen verursacht werden? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, kann zweifelsfrei über die Nachhaltigkeit der unterirdischen Stadt geurteilt werden.

 

Autor*innen

  • Tuulia Brax (Leibniz Universität Hannover, Abteilung für Stadt- und Raumentwicklung, Wintersemester 2022)

Quellen

  1. Vähääho, Ilkk: „Underground Masterplan of Helsinki“, A city growing inside the bedrock“. In: Journal of Rock Mechanics and Geotechnical Engineering, 05/2014, 2014
  2. Baesgen, Bert / Baesgen, Marleen: „“. In: Finnland-Reiseführer, Martin Velbinger Verlag 1995
  3. Urban Environment Publications 2018:11. "Urban Underground Space“: Sustainable Property Development in Helsinki.. https://www.hel.fi/static/liitteet/kaupunkiymparisto/julkaisut/julkaisut/julkaisu-11-18.pdf, 2018
  4. Building Helsinki. City of Helsinki, Real Estate Apartment. http://www.hel.fi/static/kv/BuildingHelsinki.pdf, 15.12.2022
  5. Helsinki Urban Underground Spaces. „New guideline for visitors”. https://www.hel.fi/static/liitteet/kaupunkiymparisto/julkaisut/esitteet/esite-03-21-en.pdf, Berliner Morgenpost 2019
  6. „ Helsinki Underground“ Die Stadt unter der Hauptstadt. https://www.morgenpost.de/vermischtes/article228007909/Helsinki-underground-Die-Stadt-unter-der-Hauptstadt.html, 2019
  7. Helsinki im Untergrund. https://www.myhelsinki.fi/de/sehen-und-erleben/helsinki-im-untergrund, 22.11.22
  8. Helsinkis urban underground spaces, Helsingin kaupunkiympäristö(Helsinkis Stadtplanungsamt). https://www.youtube.com/watch?v=prYiP3sFPfY,
  9. „“. In: Helsingin Yleiskaava, https://www.hel.fi/hel2/ksv/julkaisut/yos_2015-7.pdf, 55, 2015
  10. „The implementation of network governance forsustainable ur-ban underground usage, a comparative analysis of the case studies of thecities of Rio de Janeiro, Brazil and Helsinki, Finland“. In: IOP Conference Series, 2021
  11. „Helsinki Underground- Finnland will in die Nato. Auf den Ernstfall bereitet es sich schon lange vor – mit einer unterirdischen Stadt“. https://www.stern.de/politik/ausland/helsinki-im-untergrund--eine-stadt-unter-der-stadt_31874066-31872738.html, 07.11.2022
  12. Amos Rex Art Museum in Helsinki. https://www.baunetzwissen.de/licht/objekte/kultur-bildung/amos-rex-art-museum-in-helsinki-5492009, 05.01.2023
  13. Amos Rex JKKMM Architects. https://www.archdaily.com/900928/amos-rex-jkmm-architects, 05.01.2023
  14. Tempelaukkiochurch, Hidden Architecture. http://hiddenarchitecture.net/temppeliaukio-churc/, 14.11.2022
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