Geschichtliche Entwicklung
Bereits Anfang der 1970er Jahre geriet das heutige Gebiet der HafenCity im Zusammenhang mit einer Studie für potenzielle zukünftige Nutzungen der Wasserkanten Hamburgs in den Blick der Stadtplanung.1 Die wirtschaftliche Aufbruchstimmung nach der Wende, Wunsch nach mehr Urbanität seitens der Bevölkerung sowie die Notwendigkeit eines neuen Containerterminals in der Stadt begünstigten schließlich den Beschluss zum Bau einer HafenCity Anfang der 1990er.1 Doch zunächst wurde das Projekt fünf Jahre lang im Verborgenen betrieben und erst im Mai 1997 durch den damaligen ersten Bürgermeister Henning Voscherau offiziell der Bevölkerung präsentiert.1 Seitdem unterliegt die Verantwortung für das 157 Hektar große Gebiet der Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung (heute: HafenCity Hamburg GmbH), die im Auftrag Hamburgs agiert und alle Aktivitäten in der HafenCity kontrolliert.2
Die Kernintention des Baus einer HafenCity im Herzen Hamburgs war eine Innenstadterweiterung (um 40 Prozent) sowie neuen Wohnraum im Bezirk Hamburg Mitte zu schaffen.1 Für die Details wurde ein internationaler Wettbewerb ausgerufen, den ein Hamburger Architekturbüro mit Kees Christiaanse / ASTOC gewann. Auf Grundlage dieses Entwurfs wurde am 29. Februar 2000 vom Hamburger Senat der „Masterplan” verabschiedet, der bis heute als Entwicklungsrahmen der HafenCity fungiert. Zwischen 2008 und 2010 kam es aufgrund veränderter Rahmenbedingungen schließlich noch einmal zu einer umfassenden Überarbeitung. Diese betraf insbesondere die östlichen Quartiere; zusätzlich wurde die Planung der Elbphilharmonie neu aufgenommen. Individuelle Anpassungen und Weiterentwicklungen können seitdem beispielsweise mithilfe von quartiersbezogenen Wettbewerben erfolgen.3
Die Bebauung des Gebiets zwischen Speicherstadt und Elbe verläuft seit Baubeginn strategisch von Westen nach Osten und von Norden nach Süden. Diese Vorgehensweise wirkt sich deutlich auf die unterschiedliche Belebung der verschiedenen Quartiere aus. Das erste der insgesamt zehn Quartiere wurde im Jahr 2009 fertiggestellt; umliegend lässt sich heute der höchste Grad der Belebung beobachten. Je weiter man sich allerdings in den Nordosten der HafenCity bewegt, desto ausgestorbener wirken die am neuesten fertiggestellten Quartiere.3
Städtebauliche Merkmale
Die zehn Quartiere der HafenCity mit unterschiedlichem Charakter funktionieren als selbständige Einheiten und tragen trotzdem zur Gesamtidentität der HafenCity bei. Diese Quartiere haben jeweils unterschiedliche städtebauliche Typologien und werden durch Wasser- und Grünflächen gegliedert. Im Masterplan wurde zudem festgelegt, dass erhaltenswerte Bauwerke, wie die Kaimauern oder das Hafenbecken, in die neuen Strukturen zu integrieren sind und bedeutungsvolle Orte der Stadtgeschichte ebenfalls mindestens zu Teilen erhalten bleiben sollen.1 Konträr hierzu reihen sich in der HafenCity moderne graue Neubauten aneinander und prägen das Bild des Stadtviertels. Die dichte und monotone einheitliche Bebauung lässt negativ geprägte Assoziationen wie leer, kalt und trist über die HafenCity entstehen, die sich bis heute halten.4
Angesichts ihrer Lage an der Waterfront und besonders die durch die Elbe entstehende Verbindung zur Nordsee ergeben sich in der HafenCity spezifisch in Bezug auf den Hochwasserschutz städtebauliche und infrastrukturelle Besonderheiten. Zum einen müssen die nur wenig tragfähigen Bodenschichten mit bis zu 20 Meter tiefen Pfählen überbrückt werden, sodass die Gebäude der HafenCity durch die sogenannte Pfahlgründung gestützt werden. Zum anderen wurde ein Warftmodell entworfen, damit die Neubauten vor den regelmäßigen Sturmfluten geschützt werden. Hierbei besitzen die Gebäude fünf Meter hohe Warftgeschosse statt Untergeschosse, welche meist auf dem ehemaligen Niveau des Hafens liegen und mit wasserdichten Außenwänden sowie Wasserschutztoren ausgestattet sind. Das Erdgeschoss schließt oberhalb des Warftgeschosses niveaugleich an die Gehwege an.5 Hierdurch entsteht zur Waterfront hin einerseits ein effizienter Hochwasserschutz, doch andererseits ergeben sich für Fußgänger*innen somit zwei Ebenen, die dazu führen, dass auf der Höhe der Warftgeschosse der Fußweg allein von hohen Betonwänden gesäumt wird.
Leuchtturmprojekte: Elbphilharmonie und Elbtower
Als Wahrzeichen der HafenCity und der gesamten Stadt Hamburg gilt seit ihrer Fertigstellung 2016 die Elbphilharmonie. Das nach einem Entwurf der Architekten Herzog & de Meuron konstruierte Bauwerk mit integriertem Hotel- und Restaurantbetrieb sowie Luxuswohnungen kam erst mit großer Verspätung und weit über dem anvisierten Budget zur Vollendung. Heute sticht das Konzerthaus mit seiner wellenförmigen Glaskonstruktion, die oberhalb des ehemaligen Kaispeichers aufgesetzt ist, und seiner Höhe von 110 Metern als besonderes Bauwerk heraus und gilt als Tourist*innen-„Hotspot”. Besonders die öffentliche und kostenfrei zugängliche Aussichtsplattform „Plaza” auf 37 Metern Höhe der Elbphilharmonie zieht täglich mehrere tausend Besucher*innen an und gilt als weiteres Highlight des Gebäudes.6 Während die HafenCity im Westen von der Elbphilharmonie abgeschlossen wird, übernimmt diese Funktion am östlichen Ende des Quartiers der sich noch im Bau befindende Elbtower. Das Gebäude soll mit einer Höhe von 245 Metern das höchste Gebäude Hamburgs und das dritthöchste Deutschlands werden. Die Signa Unternehmensgruppe, die das Bauvorhaben bewirkt, plant eine Nutzung des Towers unter anderem durch Büroflächen, ein Luxus-Hotel und Gastronomie. Auch dieses Bauvorhaben hat die eingeplanten Kosten schon weit überschritten.7 Demnach wird die HafenCity sowohl architektonisch als auch unter einem ökonomischen Gesichtspunkt durch zwei konsum- bzw. tourismusorientierte „Leuchtturmprojekte“ eingerahmt.
Mobilität und Verkehr
Das Mobilitätskonzept in der HafenCity soll auf Smart Mobility basieren.8 Ziel des neuen Quartiers ist eine Stadt kurzer Wege („walkable city“).3 In Folge dessen wird die Erschließung des Stadtteils besonders durch ein dichtes Netz an Rad- und Fußgänger*innen-Wegen sowie den öffentlichen Nahverkehr gefördert. Mithilfe mehrerer „StadtRad”-Stationen im Stadtteil sowie ein quartierübergreifendes Carsharing soll zudem die Shared Mobility angekurbelt werden.8 Dieses Konzept war im ersten Masterplan noch nicht enthalten und ist demnach eher auf den heutigen Zeitgeist zurückzuführen. Die U-Bahn Linie 4 wurde ebenso nachträglich eigens für das Bauvorhaben HafenCity konzipiert. Seit ihrer Eröffnung 2012 sukzessive ausgebaut, umfasst die U4 die neuen Stationen Überseequartier, HafenCity Universität und Elbbrücken. Eine Erweiterung der Linie ist in Planung. Eine zusätzliche Nutzungsmöglichkeit des ÖPNVs bietet das Busnetz des Hamburger Verkehrsverbunds hvv. Des Weiteren liegt in unmittelbarer Nähe der Elbphilharmonie der erste Fähranleger der HafenCity, wodurch die Erschließung von der Elbseite aus gegeben ist.3
Obwohl laut Mobilitätskonzept der motorisierte Individualverkehr in der HafenCity reduziert werden soll,8 wird das Quartier aktuell quer von vielbefahrenen, vier- bis achtspurigenHauptverkehrsstraßen geteilt. Die Qualität der erwünschten Fortbewegung zu Fuß oder mit dem Fahrrad wird hiervon erheblich eingeschränkt. Demnach unterscheidet sich die Zielsetzung für Mobilität in der HafenCity bislang klar von der Realität; verkehrsberuhigt und nachhaltig ist die Verkehrsführung durch die HafenCity nur in Ansätzen.9 Wenig modern wirkt zudem die Namensgebung für einige öffentliche Plätze und Gebäude im neuen Quartier. Viele der neu entstehenden Straßen in der HafenCity sind legitimerweise an den maritimen Charakter des Quartiers angelehnt. Doch die schematische Benennung öffentlicher Freiflächen nach europäischen, berühmten Seefahrern und „Entdeckern“ sollte aufgrund ihrer neokolonialen Konnotation kritisch und als wenig zeitgemäß betrachtet werden.10
Nutzungsweisen
Die frühere funktionale Stadt mit konsequenter Trennung von Arbeit und Wohnen soll im Konzept der HafenCity aufgebrochen werden. Folglich wurde im Masterplan explizit eine „feinkörnige Nutzungsmischung“11 für das Quartier vorgesehen. Von den 32 Prozent Gebäudegrundfläche in der HafenCity wird ein gutes Drittel fürs Wohnen genutzt. Insgesamt sollen laut der HafenCity Hamburg GmbH circa 8.000 Wohnungen für rund 16.000 Menschen entstehen. Diese umfassen eine Spannbreite von öffentlich gefördertem Wohnraum bis hin zu Luxus-Immobilien. Primär handelt es sich in der HafenCity jedoch um eine wohlhabende Bevölkerungsstruktur; sowohl die Quoten der Arbeitslosen, Alten als auch die der Leistungsempfänger*innen nach SGB II liegen deutlich unter dem Hamburger Durchschnitt. Bislang wird der neue Stadtteil erst von circa 6300 Personen bewohnt. Auffällig ist hierbei, dass besonders viele Familien mit Kindern in der HafenCity angesiedelt sind. Dieser Umstand erklärt die hohe Zahl von 13 sich in Betrieb, in der Planung oder im Bau befindenden Kindertagesstätten, obwohl im ursprünglichen Masterplan nur zwei neue Kitas vorgesehen waren.11 Darüber hinaus gibt es bereits zwei Grundschulen und bald eine weiterführende Schule im Quartier. Zudem wurde in der HafenCity 2014 die gleichnamige öffentliche HafenCity Universität (HCU) eröffnet, die sich aus der Reihe diverser dort ansässiger privater Hochschulen abhebt und thematisch eine städtebauliche Ausrichtung aufweist.12
Demgegenüber nehmen Büroräume mit 39 Prozent den größten Teil der Gebäudeflächen in der HafenCity ein. Die im ersten Masterplan angedachte Zahl von 20.000 Arbeitsplätzen1 wurde bis heute auf 45.000 mehr als verdoppelt. Bislang sind in der HafenCity rund 930 Unternehmen angesiedelt, darunter die Spiegel-Mediengruppe, deren Hauptsitzim Quartier Brooktorkai/Ericus liegt.12 Die Erdgeschosse der Neubauten in der HafenCity haben aufgrund der Warftkonzeption eine vorgegebene Höhe von fünf Metern und eine verpflichtende öffentlichkeitsbezogene Nutzung wie Einzelhandel, Gastronomie und EG-Dienstleistungen.13 Dennoch – oder auch gerade deshalb? – ist die HafenCity noch immer von Leerstand geprägt. Besonders die neueren oder sich noch im Bau befindenden Quartiere wirken trotz des Mischnutzungskonzepts oftmals wie ausgestorben.
Als besucher*innenintensivster Teil der HafenCity wird das Überseequartier geplant. Neben Büros und Wohnflächen sollen hier vor allem Einzelhandel, Gastronomie und Hotels ansässig werden. Auch wird in der südlichen Spitze ein Kreuzfahrtterminal mit zwei Liegeplätzen entstehen. Das konsumorientierte Quartier soll nach seiner voraussichtlichen Fertigstellung im Frühjahr 2024 als Tourist*innen-Magnet für die gesamte HafenCity fungieren; hierdurch werden der nebenan gelegenen Innenstadt weitere potenzielle Besucher*innen entzogen. Dementsprechend wurde das Quartier weniger für die Anwohner*innen selbst oder aus Nachhaltigkeitsinteressen heraus konzipiert, als vielmehr aus ökonomischen Gründen.3
Öffentlicher Raum
Der öffentliche Raum, zu dem u.a. Plätze, Promenaden sowie Grünflächen zählen, ist mit 24% der Landfläche in der HafenCity deutlich größer als in anderen Quartieren der Hamburger Innenstadt.14 Das liegt vor allem daran, dass bei der Planung bewusst die Abkehr von der funktionalen Trennung der Stadt mitgedacht wurde und für die Verknüpfung von Arbeiten und Wohnen größere Freiflächen zur Freizeitgestaltung inkludiert wurden.10 Zum Flanieren wurden breite Promenaden entlang der Kaikanten errichtet sowie verschiedene Parks und Spielplätze geschaffen. Die unterschiedliche Ausstattung der Grünanlagen deckt die verschiedenen Bedürfnisse aller Altersgruppen ab. Dazu zählen beispielsweise ein Wasserspielplatz, eine Skateranlage, Basketballkörbe sowie Fitnessgeräte und ein Bolzplatz.Bis auf die Kaipromenaden handelt es sich ausnahmslos um Orte, die im ursprünglichen Masterplan allerdings nicht erwähnt wurden.15
Als Beispiel für die gelungene Partizipation von Bürger*innen ist derBaakenpark zu nennen. Es handelt sich um eine 1,6 ha große, künstlich aufgeschüttete Halbinsel im Baakenhafenbecken im Osten der HafenCity.16 Seine Entstehung von 2011-2018 ist geprägt durch verschiedene Beteiligungsprozesse. Einerseits durch Schüler*innen der Katharinenschule, der zum damaligen Zeitpunkt einzigen Grundschule in der HafenCity, andererseits durch den Verein „Netzwerk HafenCity e.V.”.16 Im Grasbrook- und Lohsepark, den beiden anderen großen Grünflächen, sind in kleinerem Maß auch Ideen von Kindern und Jugendlichen eingeflossen.17
Außerdem entstehen durch den Unterschied im Höhenniveau zwischen Wohnraum und öffentlichem Raum, das dem Warftkonzept zum Hochwasserschutz geschuldet ist, verschiedene Grade der Öffentlichkeit. Diese Abgrenzung zwischen Anwohner*innen und Passant*innen wird durch die begrünten, halböffentlichen Innenhöfe verstärkt, die sich innerhalb der einzelnen Wohnensembles ergeben.18
Die Fußwege verlaufen jedoch meist entlang breiter Straßen und sind demnach für Fußgänger*innen nicht besonders attraktiv. Öffentliche Plätze sind außerdem geprägt von den Häuserschluchten, in denen sie sich befinden und der Weitläufigkeit, die sich im Zuge der überdimensionierten restlichen Infrastruktur ergibt.
Das ist einer der Gründe, weshalb der Stadtteil mit Ausnahme einzelner Parkanlagen nicht sehr belebt ist, was dazu führt, dass das Viertel tagsüber und spätestens am Abend relativ menschenleer ist und sich damit in die Problematik der restlichen Hamburger Innenstadt einreiht, die mit Leerstand und Geschäftsaufgaben zu kämpfen hat.19
Partizipative Stadtentwicklung
Interventionen im Bereich Stadtentwicklung werden im Viertel maßgeblich von zwei Initiativen geprägt. Eine davon ist der Nachbarschaftsverein „Netzwerk HafenCity e.V.”, der sich seit 2009 für eine gute Lebensqualität aller Anwohner*innen einsetzt und deren Interessen im Rahmen verschiedener Arbeitsgruppen zu Themen wie Freizeitgestaltung, Grünflächen oder Kultur und Sozialem vertritt.20 Zu den konkreten Aufgaben einzelner AGs zählen z.B. die Verwaltung der leerstehenden Erdgeschossebenen für kulturell-kreative Zwischennutzungen21 bzw. die Verwaltung der Gemeinschaftshäuser, die jeweils an die drei größten Parks des Stadtteils angegliedert sind.22
Diese insgesamt drei Gemeinschaftshäuser, von denen zwei voraussichtlich im Laufe des Jahres 2023 fertiggestellt werden sollen, sind als vorwiegend unkommerzielle Nachbarschaftstreffpunkte vorgesehen. Sie dienen unter anderem als öffentliche Veranstaltungs- und Aufenthaltsorte aller Generationen und besonders der verschiedenen Bürger*inneninitiativen innerhalb der HafenCity. Unter dem Motto: “Haus für alle”23 steht die flexible, soziale und kreative Nutzung im Vordergrund, dazu kommen Servicefunktionen wie Toiletten, Kiosk und Lagerfläche sowie Co-Working Spaces. Die architektonischen Entwürfe für die Häuser kamen zwar von zwei Architekturbüros aus Köln, das Nutzungskonzept wurde allerdings mit Bürger*innen, die dem „Netzwerk HafenCity e.V.” angehören, entwickelt.24
Die andere Initiative von Anwohner*innen, „Lebenswerte HafenCity”, ist von der HafenCity GmbH (HCH) komplett unabhängig und vor allem durch ihre vehemente Kritik am geplanten Überseequartier Südseit 2016 bekannt.25
In Bezug auf dieses milliardenschwere Objekt und die dort geplanten Attraktionen bemängeln sie, dass die HCH den Fokus eher auf große, kommerzielle Einrichtungen lenkt, die als Tourismusmagneten fungieren als auf nachhaltige urbane Entwicklung zugunsten der Bedürfnisse der Anwohner*innen. Sie fordern stattdessen mehr Flächen für Museen, Orte der Weiterbildung und Wohnraum sowie die Schaffung attraktiver öffentlicher Plätze für alle.26
Der Oberhafen ist als ehemaliges Schifffahrtszentrum aus dem 17. Jahrhundert, eines der wenigen noch erhaltenen historischen Gebäude innerhalb der Hafencity. Durch die Bahngleise wird er räumlich vom Rest der HafenCity abgetrennt. Der geplante Abriss konnte 2016 durch die Bürger*inneninitiative „Initiative Oberhafen” verhindert werden, die sich mittlerweile zur „Gemeinnützigen Stiftung Oberhafen” zusammengeschlossen hat und sich für die kreative Bespielung des Areals engagiert.27
Mittlerweile ist das 6,7 Hektar große Gelände als Kunst- und Kreativquartier in der Entwicklungsphase und beherbergt unterschiedliche Mietnutzer*innen. Die dort befindlichen ehemaligen Lagerhallen werden revitalisiert und fortan ausschließlich für kulturelle Zwecke genutzt.28 Dabei handelt es sich allerdings eher um einen kreativwirtschaftlichen als um einen künstlerischen Fokus.29
Kunst und Kultur
Kunst und Kultureinrichtungen wurden im ursprünglichen Masterplan ebenfalls nicht mitgedacht.11 Größere kommerziell erfolgreiche Einrichtungen, wie die Elbphilharmonie als sogenannte „Leuchtturmprojekte” wurden nachträglich hinzugefügt, ebenso konnten sich über die Zeit andere Kultureinrichtungen, wie z.B. einige Museen, (private) Kunstgalerien und ein Kino in der HafenCity etablieren. Darüber hinaus existieren aber wenig Freiräume, in denen sich subkulturelle und andere kreative Strömungen auch unabhängig von ökonomischen Interessen entwickeln können.29
Den Zustand von Kunst und Kultur in der HafenCity kann man daher mit dem Zitat der Stadtteilkuratorin Ellen Blumenstein besser verstehen: „Eine gute Stadt entsteht durch gute Planung. Aber lebendig wird sie durch unvorhergesehene Nutzungen."30
Ein vorab genauestens geplanter Stadtteil wie die HafenCity lässt eben nicht viel Raum für unvorhergesehene Nutzung, wodurch es an Lebendigkeit fehlt.
Um die bisher fehlenden kreativen Impulse in die HafenCity einzubringen, beauftragte die Hamburger Entwicklungsgesellschaft, HafenCity Hamburg GmbH (HCH), 2017 die Berliner Kunstexpertin Ellen Blumenstein als HafenCity Kuratorin mit der Entwicklung eines experimentellen Kunstprogramms für den Stadtteil. Daraus ging IMAGINE THE CITY hervor, in dessen Rahmen seit 2018 temporäre Kunstprojekte im öffentlichen Raum realisiert werden.31
So etwa 2019 der improvisierte Garten am Störtebeker Ufer mit der „Bee Chapel“ des kanadischen Künstlers Terence Koh.32
36 Oder zuletzt der Soundparcours „How to live in the echo of other places“: Ein Projekt, bei dem die Hamburger Künstlerin Annika Kahrs im Sommer 2022 in der leerstehenden, einzigen noch vorhandenen historischen Lagerhalle auf dem Baakenhöft, Erinnerungsorte akustisch und visuell in Szene setzte.33
Beide dieser Projekte setzen sich kritisch mit dem Status Quo der HafenCity auseinander: Zum einen durch die Ermöglichung von Interaktion zwischen Mensch und Natur, an der es innerhalb der HafenCity sonst mangelt und zum anderen durch die kreative Nutzung von Leerstand, der dort allgegenwärtig ist.
IMAGINE THE CITY wird vom unabhängigen und gemeinnützigen Verein „Kunst und Kultur in der HafenCity e.V.” getragen und wurde bisher durch die HCH finanziert, welche außerdem im Vereinsvorstand vertreten ist. Das restliche Budget wird durch die Akquise von Drittmitteln gesichert.31 Die finanzielle Förderung durch die HCH läuft Ende des Jahres 2023 aus. Gegenwärtig finden Verhandlungen über eine mögliche Fortsetzung des Projektes statt.34
Die tatsächliche inhaltliche Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit, die IMAGINE THE CITY gegenüber der HafenCity aufgrund dieser finanziellen Abhängigkeiten hat, bleibt unklar.
Eine andere Gruppe von Kunstschaffenden, die sich auf kreative Weise mit Freiräumen auseinandergesetzt hat, ist BALTIC RAW ORG. Sie haben sich, wie der Name besagt, in den ersten Jahren der HafenCity hauptsächlich mit brachliegenden Flächen innerhalb des Stadtgebiets beschäftigt.35 Ihr Ziel ist es, prozessuale Kunst mit mehr Freiraum für Menschen und Spontanität zu schaffen, ein Konzept, mit dem sie bei der HCH an Grenzen gestoßen sind. Das lag zum einen daran, dass im Laufe der Bebauung, die für jeden Quadratmeter eine ganz bestimmte Nutzung vorsieht, die letzten Freiflächen sukzessive verschwanden. Zum anderen ließen sich der Selbstverwaltungsanspruch der Kunstschaffenden und das hohe Kontrollbedürfnis der HCH nur schwer miteinander vereinbaren. BALTIC RAW sah sich sowohl mit physischen als auch inhaltlichen Limitationen konfrontiert.29
Insgesamt lässt sich das Kunstverständnis der HafenCity GmbH daran erkennen, wie wenig Raum und Freiheit der Kunst innerhalb der HafenCity eingeräumt wird. Das Ziel ist nicht, einen Ort und Strukturen zu schaffen, in dem sich Kunst subversiv, kritisch und vor allem eigenständig entwickeln kann bzw. Disruptionen schafft, die nachhaltige Änderungen des Stadtteils bewirken. Es geht viel eher darum, in zeitlich begrenzten Projekten die Kontrolle darüber zu wahren, wer welche Kunst produziert. Dabei steht die ökonomische Verwertbarkeit an vorderster Stelle. Und das wirkt sich in vielerlei Hinsicht nachteilig auf die Lebendigkeit des Stadtteils aus.
Kritik
Die HafenCity in Hamburg startete zweifellos als überaus ambitioniertes städtebauliches Projekt. In Schlagzeilen wird fast ausschließlich in Superlativen über den neuen Stadtteil gesprochen und zusätzlich fließen Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe in den Bau.14 Doch im Zuge der ständigen Übertrumpfungen eines Megaprojekts zum anderen und polarisierender Meinungen über das Projekt gerät der ursprüngliche Kern der HafenCity zunehmend in den Hintergrund: Wie lebt es sich im jüngsten Stadtteil Hamburgs, welcher ursprünglich wieder mehr Wohnraum in die Innenstadt schaffen sollte?
Fast 30 Jahre später wird dieses Ziel zunehmend von den Bürogebäuden, die das Straßenbild dominieren, überschattet. Während sich im Verlauf der Bebauung des Gebiets an der Waterfront sukzessive Parks und Spielplätze ansiedelten, die häufig frequentiert werden, wird die Aufenthaltsqualität ansonsten überwiegend von versiegelten Flächen bestimmt. Die Gehwege in den dicht bebauten Quartieren werden von hohen und unbegrünten Beton-, Stahl- und Glasfassaden gesäumt. Während einige die futuristischen Gebäude und modernen Designs bewundern, werden die Neubauten andererseits oft als steril, kalt und unpersönlich wahrgenommen.
Ein weiteres Ziel der HafenCity, die Errichtung eines Stadtteils, der für verschiedene Nutzungsarten gleichermaßen attraktiv ist, wurde bislang aus verschiedenen Gründen nicht ausreichend realisiert. Weite Fußwege, mangelnde Infrastruktur des alltäglichen Lebens wie Einzelhandelsgeschäfte, (weiterführende) Schulen oder ausreichende Freizeitangebote führen dazu, dass es sich um kein ganztägig belebtes Quartier handelt. Zudem verfügt der Stadtteil noch immer über eine geringe soziale Durchmischung. Trotz der sozial geförderten Wohnungen ist in der HafenCity eine überwiegend bürgerliche und wohlhabende Bevölkerung ansässig. Durch die hohen Miet- und Immobilienpreise (aufgrund der Lage an der Waterfront, Hochwasserschutz, experimentellen Bauprojekten) sind viele Menschen mit niedrigerem Einkommen ausgeschlossen. Dadurch wird die soziale Ungleichheit verstärkt und das soziale Gefüge in der Gemeinschaft deutlich beeinträchtigt.
Eine Lösung zur Belebung der HafenCity hätte eine subkulturelle und partizipatorische Kunst- und Kreativszene bieten können. Doch an dieser Stelle setzte die HafenCity Hamburg GmbH von Beginn an auf die ökonomische Verwertbarkeit von Kultur. Das Erfolgskonzept des Stadtteils verlagert sich in großen Teilen auf externe Einnahmequellen wie den Kreuzfahrt- und Konsumtourismus im Rahmen des Überseequartiers oder den Kulturtourismus, hauptsächlich durch die Elbphilharmonie sowie später durch das Digital Art Museum. Die HafenCity ist zunehmend eine touristische „Stadt der Durchreise”; von nachhaltiger Stadtentwicklung ist hier wenig zu sehen. Die Bedürfnisse der Anwohner*innen sowie deren Partizipation in Bezug auf die weitere Stadtentwicklung spielen eine untergeordnete Rolle.
Diese Tatsache lässt sich erneut darauf zurückführen, dass ein vorab genauestens geplanter Stadtteil wie die HafenCity kaum Raum für unvorhergesehene Nutzung und die Anpassung ihrer Vision an gegenwärtige Entwicklungen zulässt, wodurch es an Lebendigkeit fehlt und ein unpersönlicher Charakter entsteht. So wie die HafenCity entstand - als Geheimprojekt ohne Bürger*innenbeteiligung, geplant von einigen wenigen Inhabern politischer Ämter - wird die Stadtentwicklung fortgeführt. Es handelt sich um die Zukunft von gestern.
Ausblick
Die zukünftige Fertigstellung der HafenCity und die nachfolgenden Nutzungen werden offenbaren, inwiefern das Quartier lebendig wird und von den Bewohner*innen durch kreative Aneignung gewandelt werden kann. Die Fertigstellung der östlichen Quartiere ist aktuell bis mindestens 2025 angesetzt; Verzögerungen des riesigen Bauvorhabens sind möglich. Dass der Faktor des Tourismus weiterhin eine zentrale Rolle einnehmen und sich sicherlich noch verschärfen wird, kann nicht geleugnet werden. Trotzdem lässt sich bereits die Entwicklung beobachten, dass die westlich gelegenen, am frühesten errichteten Quartiere aktuell am lebendigsten wirken. Daher ist es denkbar, dass sich dieser Prozess sukzessive in den Osten der HafenCity verlagert. Die bald eröffnenden Gemeinschaftshäuser könnten ein Motor der Nachbarschaftsvernetzung darbieten. Inwiefern sich allerdings subkulturelle und partizipatorische Strukturen ausbreiten werden, bleibt abzuwarten. Die nahe Zukunft wird solche Entwicklungen hoffentlich zeigen.
Autor*innen
Quellen
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- Titelbild: hoch3media, Luftaufnahme einer Stadtstraße mit hohen Gebäuden. https://unsplash.com/de/fotos/QrLyfOGhzFI, 16.12.2023