Ildefons Cerdàs Plan für den Stadtteil Eixample in Barcelona galt einst als einer der fortschrittlichsten der Welt. Doch heute steht Eixample mit seiner enorm hohen Bevölkerungsdichte vor großen Herausforderungen: Fehlende Grünflächen sowie eine hohe Verkehrsbelastung erfordern einen neuen Umgang mit dem öffentlichen Raum. Als Reaktion darauf entwickeln sich neue Konzepte, die Barcelona zu einem Vorreiter der Stadtentwicklung machen.

Geschichte

Während der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Barcelona neben Madrid zur wirtschaftlich wichtigsten Stadt Spaniens. Die durch eine Befestigungsanlage begrenzte Stadtstruktur war einem derart starken Zuzug von Arbeitskräften nicht gewachsen. Regelmäßige Epidemien, eine minderwertige Luftqualität und eine geringe Lebenserwartung gingen mit der extremen Bevölkerungsdichte einher. Die prekären Lebensbedingungen innerhalb der mittelalterlichen Stadt bewogen die spanische Regierung 1854 dazu, der Zerstörung der Stadtmauern zuzustimmen und einen Wettbewerb für eine Stadterweiterung auszurufen.1 Gegen den Willen des Stadtrates wählte die Regierung in Madrid den umstrittenen Entwurf des damals unbekannten Ingenieurs Ildefons Cerdà aus.2 Der ab 1860 entstandene Stadtteil Eixample (katalanisch für Erweiterung) liegt heute zwischen der Altstadt und den umliegenden Orten, die später eingemeindet wurden. Das 7,5 m² große Gebiet wird heute von fast 270 000 Menschen bewohnt, was ihn zu einem der am dichtesten besiedelten Orte Europas macht.

Übersicht

Regelwerk

Cerdàs Pläne basierten auf einer methodischen Analyse der Anforderungen an ein modernes Barcelonas und resultierten in dem Entwurf einer effizienten Idealstadt, die ökonomische, soziale und politische Aspekte verband.3 Die Grundlage des Plans bildete ein gleichförmiges Raster, das von der vorhandenen Bebauung sowie der Topografie begrenzt wurde. Innerhalb des Rasters sollten 113 mal 113 m große quadratische Stadtblöcke „Manzanas“ entstehen, die mit ihren um 45° abgeschrägten Ecken die Morphologie des Stadtplans prägten. Jedes Quadrat sollte lediglich von zwei Seiten mit 20 m in der Höhe und 16 m in der Tiefe bebaut werden, um ausreichend Platz für halböffentliche Grünflächen zu lassen. Durch die Manzanas entstand ein intensiv durchgrünter Stadtplan mit einer geringen baulichen Dichte, der eine hervorragende Belüftung und Belichtung versprach.4 Das Raster des Plans wurde durch eine Hierarchisierung der Erschließungswege mit drei unterschiedlichen Straßenprofilen strukturiert.5 Außerdem durchbrechen einige diagonale Verbindungswege zu umliegenden Ortschaften die immer gleiche Grundstruktur. Um dabei dem steigenden Verkehrsaufkommen in Barcelona gerecht zu werden, wurden großzügige Straßenquerschnitte gewählt. Zusätzlich erleichterten die abgeschrägten Ecken der Blöcke den Verkehrsfluss und bildeten an jeder Kreuzung eine Platzsituation aus.2 Cerdàs Plan zeichnete sich weiterhin durch ein Streben nach Egalität aus. Die im Entwurf fehlende soziale Abstufung suggerierte ein System, in dem alle Bewohnende gleichgestellt waren. Daher sollten auch öffentliche Einrichtungen nach einem Schlüssel gleichmäßig im Stadtgebiet verteilt werden.3 

Blockgröße
Ausrichtung

Entwicklung

Noch vor der Verabschiedung des Entwurfs 1860 wurde die geplante Struktur verdichtet und ihre Straßenquerschnitte verkleinert. Als sich die wirtschaftliche Entwicklung in den 1870er-Jahren weiter beschleunigte, ignorierten die Investor*innen, die im Plan vorgeschlagene bauliche Dichte, was durch eine passive Haltung der Stadtverwaltung zusätzlich begünstigt wurde. Bald traten vollständig geschlossene Blöcke anstelle der von Cerdà vorgeschlagenen zweiseitigen Bebauung, wodurch große Teile der Freiflächen verloren gingen.  Weiterhin wurden die Innenhöfe überbaut und die Bauhöhe auf sechs Geschosse erhöht. Während des Franco-Regimes wurden die Manzanas ab 1939 weiter verdichtet und mit Staffelgeschossen ergänzt.6 Einerseits entstand dadurch eine Stadtstruktur, die kaum etwas mit den fortschrittlichen Ideen Cerdàs gemein hat. Andererseits ist aus deren Dichte ein heterogenes Stadtbild mit eigenen Qualitäten entstanden. So bildet Eixample ein einzigartiges modernistisches Architekturensemble, das mit Bauten wie der Casa Milà von Antoni Gaudí oder dem Hospital de Sant Pau von Lluís Domènech i Montaner im UNESCO-Weltkulturerbe vertreten ist. Zusätzlich generierte die weiträumige Infrastruktur lange Platz für die rasante Entwicklung der Stadt.2 

Entwicklung eines Blocks

Verkehr/Infrastruktur

Die von Cerdà vorgesehene großzügige Erschließung von Eixample ist heute immer noch intakt. Das Gebiet ist extrem niedrigschwellig erschlossen und von allen Seiten durch die vielen Eingänge und Querungen leicht zugänglich. Die diagonalen Achsen, sogenannte „Avingudas“, überlagern das gleichförmige Raster und verbinden Eixample mit den umliegenden Orten. Die dadurch entstehen entstehenden Restflächen werden als weitere öffentliche Freiräume genutzt.7  Das regelmäßige Straßennetz ist hauptsächlich durch vierspurige „Carrers“ geprägt. Höher frequentierte Straßen („Passeigs“) sind wesentlich breiter und weisen größere öffentliche Freiflächen entlang der Fahrspuren auf. Weniger häufig treten die sogenannten „Ramblas“ auf, die durch breite, autofreie Mittelbereiche mit öffentlichen Programmen ergänzt werden können.8 Die straßenräumliche Großzügigkeit von Eixample gerät heute an ihre Grenzen, denn Barcelona hat eine hohe Luftverschmutzung, die höchste Fahrzeugdichte9 sowie die höchste Lärmbelastung Europas.10

„Carrer“
„Rambla“
„Passeig“

Öffentlicher Raum

Öffentliche Parks sowie halböffentliche Blockinnenhöfe sind durch die Nachverdichtung von Eixample kaum vorhanden. Trotz politischer Bemühungen, mehr öffentliche Freiräume bereitzustellen, sind immer noch die Hälfte der Innenhöfe privat genutzt. Zwar wurden öffentliche Grünanlagen wie der „Parc de Joan Miró“ durch den Abriss ganzer Stadtblocks verwirklicht.11 Trotzdem bietet Barcelona gerade einmal 7 m² Grünraum pro Einwohner*in, während die Weltgesundheitsorganisation 15-20 m² empfiehlt.12 Öffentlicher Außenraum befindet sich heute vor allem entlang der breiten Straßen und Kreuzungsbereiche oder auf Vorplätzen, die durch zurückgesetzte Bebauungen entstehen.4 Durch die breiteren Profile bieten die Avenues und Passeigs besonders viel Freiraum. Dieser öffentliche Raum ist jedoch meist durch eine Bus- oder Taxispur von den Erdgeschosszonen der angrenzenden Bebauungen getrennt. 

Teile der öffentlichen Gebäudeinfrastruktur zeichnen sich in der Stadtstruktur deutlich ab. Während einige öffentliche Gebäude wie beispielsweise Schulen in die Blockstrukturen integriert sind, werden die Mehrzahl als Sonderbausteine ausgebildet: Längliche Baukörper wie Markthallen schieben sich mittig durch Blöcke hindurch und sind so zweiseitig erschlossen, andere Gebäude wie die „Sagrada Familia“ besetzen ganze Blöcke. 

Öffentliche Nutzung im Block
Öffentliche Nutzung durch den Block
Öffentliche Nutzung als Block

Programme

Die dichte Bebauung von Eixample ist innerhalb des strengen Rasters in ihrer Größe und Gestaltung äußerst vielfältig. Es lässt sich jedoch eine gängige Nutzungsstruktur innerhalb der Gebäude ablesen: Öffentliche Bausteine sind im Block mehrheitlich über die gesamte Höhe mit der entsprechenden Nutzung belegt. In den anderen Bausteinen des Blocks findet sich eine wiederkehrende Staffelung unterschiedlicher Programme: Die Erdgeschosse der Gebäude sind mit öffentlichen und gewerblichen Nutzungen wie Gastronomie oder Einzelhandel belegt, während sich in den höheren Geschossen zumeist Wohn- oder Büronutzungen finden. Durch die große Gebäudetiefe von bis zu 35 Metern entstehen Grundrisse mit vielen innen liegenden Räumen, die über kleine Schächte belichtet und belüftet werden. Zusätzlich wurden im 20. Jahrhundert auf den meisten Blöcken Dachgeschosswohnungen errichtet, die wegen ihrer großen Terrassen eine bessere Belichtung vorweisen. Die Heterogenität setzt sich in den Hinterhöfen fort, so werden diese von umgenutzten Industriebauten, genauso wie von Sportplätzen besetzt. Gemeinhin sind sie jedoch als Erweiterung des Gewerbes im Erdgeschoss oder als Parkplatzfläche genutzt.11 

Olympische Spiele 

Die Olympischen Spiele 1992 waren ein Wendepunkt der Stadtentwicklung von Barcelona. Mit großen Investitionen wurde das Gesicht der Stadt verändert. Gerade an der Küste wurden Industriebauten und Lagerhallen durch Wohngebäude, Hotels und einen Strand ersetzt. Außerdem wurden die Infrastruktur erweitert und neue Freizeitangebote geschaffen.13 So konnte Barcelona seine Besuchendenkapazitäten stark erhöhen. Seitdem erlebt die Stadt ein exponentielles Wachstum des Aufkommens von Tourist*innen. Heute kommen auf 1,6 Millionen Einwohner*innen über 30 Millionen Besuchende pro Jahr. Während die Wirtschaft floriert, führt diese Entwicklung zu Spannungen zwischen Einheimischen und Besuchenden.14 Neben den Hotels nehmen Kurzzeitvermietungen wie Airbnb Wohnraum und tragen zu einer extreme Gentrifizierung bei. Zusätzlich werden viele junge transnationale Einwander*innen durch Barcelonas Image als Tourismus- und Lifestylestadt angezogen. Diese stammen zumeist aus Westeuropa oder Nordamerika, sind wirtschaftlich bessergestellt und verdrängen so zusätzlich die einheimische Bevölkerung. Zudem neigen diese Migrant*innen dazu, sich den Lebensstil der Besuchenden anzueignen, anstatt sich in die lokalen Gemeinden zu integrieren. Durch die Gesamtheit der Phänomene werden zentrale Stadtteile zu Enklaven, die nur von Tourist*innen und wohlhabenden Einwander*innen genutzt werden.15

Superblocks

Nach der Franco-Diktatur und einem Wandel in der Wahrnehmung von öffentlichem Raum, existieren seit den 1980er-Jahren städtebauliche Maßnahmen, die sich an einigen ursprünglich angedachten Qualitäten von Cerdás Plänen orientieren.16 Schon im Jahr 1958 schlug der Architekt Oriol Bohigas die Strategie der sogenannten Superblocks vor, um das bestehende Stadtgefüge des Eixample neu zu strukturieren und an moderne Mobilitätskonzepte anzupassen. Die Stadtverwaltung Barcelonas verfolgt dieses Konzept mittlerweile intensiv. Dafür werden neun Manzanas zusammengefasst und zu Zonen für Fußgänger*innen ausgebaut. Dabei geht es einerseits darum, die Luftverschmutzung und Lärmbelästigung zu reduzieren. Andererseits sollen auf den ehemaligen Verkehrsflächen öffentliche Räume entstehen, die den Bürger*innen Platz zur Aneignung bieten. Die ersten gebauten Beispiele generierten hochwertige Stadträume, die Lärmbelastung sank und die Luftqualität wurde verbessert.17  9 Neben den sechs derzeit geplanten Superblocks hat die Stadtverwaltung zum Ziel, langfristig über 120 weitere verwirklichen.18 Seit dem „Pla General Metropolità“ der Stadtverwaltung von 1976 werden sukzessive Innenhöfe einer öffentlichen Nutzung zugeführt, wie sie Cerdà vorsah. Daraus hat sich eine große Vielfalt an Typologien und Nutzungen entwickelt. So zum Beispiel der mit einem Swimmingpool ausgestattete Jardins de la Torre de les Aigües oder der Hinterhof der Fàbrica Lehmann – ein Ort des Austausches, der in Verbindung mit einem Co-Working-Space genutzt wird.19

Straßenraster
Superblock
 

Auch interessant

Autor*innen

  • Lorenz Behrendt (Leibniz Universität Hannover, Abteilung für Stadt- und Raumentwicklung, Wintersemester 2021)
  • Mathis Bergmann (Leibniz Universität Hannover, Abteilung für Stadt- und Raumentwicklung, Wintersemester 2019)
  • Jonas König (Leibniz Universität Hannover, Abteilung für Stadt- und Raumentwicklung, Wintersemester 2019)

Quellen

  1. Bausells, Marta: The Guardian. Story of cities #13: Barcelona's unloved planner invents science of 'urbanisation'. https://www.theguardian.com/cities/2016/apr/01/story-cities-13-eixample-barcelona-ildefons-cerda-planner-urbanisation, 20.10.2021
  2. Serra Coch, Glòria: Non Architecture. L’Eixample, the greatest unknown. https://www.nonarchitecture.eu/2020/04/15/leixample-greatest-unknown/, 18.10.2021
  3. Kübler, Frank: Ildefons Cerdà und sein Plan für die Erweiterung Barcelonas, S. 6, Weimar: Bauhaus-Universität Weimar 2011
  4. Doerr, Alexander: Failed Architecture. Barcelona’s Lost Utopia. https://failedarchitecture.com/behind-four-walls-barcelonas-lost-utopia/, 24.10.2021
  5. Kübler, Frank: Ildefons Cerdà und sein Plan für die Erweiterung Barcelonas, S. 5, Weimar: Bauhaus-Universität Weimar 2011
  6. Kübler, Frank: Ildefons Cerdà und sein Plan für die Erweiterung Barcelonas, S. 7, Weimar: Bauhaus-Universität Weimar 2011
  7. Fernàndez, Alonso: Cerda and Barcelona: research and plan, S. 63, Massachusetts: Massachusetts Institute of Technology 2008
  8. Urbano, Judith: „The Cerdà Plan for the Expansion of Barcelona: A Model for Modern City Planning“. In: Focus, S. 48, San Francisco 2016
  9. Burgen, Stephen: The Guardian. Two-way street: how Barcelona is democratising public space. https://www.theguardian.com/world/2020/dec/23/two-way-street-how-barcelona-is-democratising-public-space, 19.10.2021
  10. Gray, Alex: World Economic Forum. These are the cities with the worst noise pollution. https://www.weforum.org/agenda/2017/03/these-are-the-cities-with-the-worst-noise-pollution/, 19.10.2021
  11. Kübler, Frank: Ildefons Cerdà und sein Plan für die Erweiterung Barcelonas, S. 8-9, Weimar: Bauhaus-Universität Weimar 2011
  12. Info Barcelona. More greenery for a healthier city. https://www.barcelona.cat/infobarcelona/en/more-greenery-for-a-healthier-city_508531.html, 20.10.2021
  13. Monjo, Miguel: Barcelona Architecture Walks. Barcelona as olympic city 1986-1992. https://barcelonarchitecturewalks.com/barcelona-as-olympic-city-1986-1992/, 06.11.2021
  14. Taylor, Adam: Insider. How the Olympic Games changed Barcelona forever. https://www.businessinsider.com/how-the-olympic-games-changed-barcelona-forever-2012-7, 06.11.2021
  15. Cocola-Gant, Agustin: „Transnational gentrification, tourism and the formation of ‘foreign only’ enclaves in Barcelona“. In: Urban Studies, Lissabon 2020
  16. Barcelona Field Studies Centre. Geography Fieldwork: The Eixample.. https://geographyfieldwork.com/Eixample.htm, 23.10.2021
  17. Bravo, David: Public Space. Poblenou "Superblock". https://www.publicspace.org/works/-/project/k081-poblenou-s-superblock, 22.10.2021
  18. Lam, Sharon / Taylor-Foster, James: ArchDaily. How Barcelona's "Superblocks" Pedestrian Plan Hopes to Return the Streets to the People. https://www.archdaily.com/796252/how-barcelonas-superblocks-pedestrian-plan-hopes-to-return-the-streets-to-the-people, 19.10.2021
  19. Laia, Teruel: Barcelona Metròpolis. Miniature Paradises: hidden gardens in the city block interiors of the Eixample. https://www.barcelona.cat/bcnmetropolis/2007-2017/en/calaixera/reports/petits-paradisos-jardins-ocults-als-interiors-dilla-de-leixample/, 06.11.2021
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